Hitlers Helferinnen by Wendy Lower

Hitlers Helferinnen by Wendy Lower

Autor:Wendy Lower
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446247178
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2014-06-25T16:00:00+00:00


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Warum haben sie gemordet?

Ihre Nachkriegserklärungen –

und unsere

Die deutschen Mythen von weiblicher Unschuld und vom stillen Leid der Frauen entstanden im Zuge des Zusammenbruchs und der Kapitulation des Reiches. Die Polen und andere Mehrheitsbevölkerungen im besetzten Osten hatten die Schrecken des Regimes seit 1939 erlebt, die Juden und andere politische und »rassische« Gruppen waren im Reich seit 1933 Opfer der brutalen NS-Politik gewesen, doch für die gewöhnlichen deutschen Frauen brachen die schlechten Zeiten erst mit dem Ende des »Dritten Reiches« an. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch waren es vor allem die körperlichen Strapazen und die moralischen Dilemmata der Evakuierungen aus dem Osten, die Gewalt der Sowjettruppen und der Kampf der vom Krieg zerrissenen Familien ums Überleben in dem, was unter alliierter Besatzung von der deutschen Heimat noch geblieben war.

Eine junge Lehrerin in der Ukraine erinnerte sich nach dem Krieg an ihre Evakuierung vor der anrückenden Roten Armee, die im Sommer 1943 Richtung Dnjepr vorstieß. In der Schule waren sehr viele Kinder, lauter Waisen. Sie und ihre Kolleginnen waren der Meinung, die Kinder würden von den Sowjetsoldaten getötet werden, beschlossen aber trotzdem, sie zurückzulassen. Die Kinder weinten »herzerweichend«, klammerten sich an ihre Lehrerin und wollten sie nicht gehen lassen. »Aber wir mussten es tun.« Sie verließ zusammen mit anderen weiblichen Angestellten die Ukraine und machte sich auf in Richtung der polnisch-deutschen Grenze. Als sie von der Gestapo ihre Entlassungspapiere bekam, musste sie eine eidesstattliche Versicherung unterschreiben, »dass ich über alles Erlebte und Gesehene in der Ukraine Stillschweigen bewahren würde«. Nach dem Krieg erfuhr diese Lehrerin, dass es bei der Besetzung Tschernigows durch die Rote Armee tatsächlich zu einem »Blutbad« gekommen war. Sämtliche Männer, Frauen und Kinder, die mit den Deutschen zu tun gehabt hatten, waren erschossen worden.1

Das gesamte Personal des Lazaretts in Schytomyr, wo Erika Ohr als Krankenschwester arbeitete, wurde im Dezember 1943 in letzter Minute evakuiert. Der kleine Lastwagenkonvoi mit medizinischem Personal und verwundeten Soldaten musste sich einen Weg durch die Truppen bahnen, die zu Fuß, auf LKWs und in dröhnenden Flugzeugen Richtung Osten und Westen unterwegs waren. Auf dem Friedhof rollten deutsche Panzer über die frischen Gräber deutscher Soldaten, um alle individuellen Hinweise auf Namen und Truppeneinheiten zu zerstören. Denn die Nummern der Einheiten hätten der sowjetischen Aufklärung wertvolle Hinweise auf deutsche Truppenbewegungen liefern können.2

Nach einigen Monaten und mehreren Zwischenaufenthalten in der Westukraine und in Polen kam Erika Ohr schließlich im Mai 1944 in Ungarn an, in der Nähe von Pécs. Die Einheimischen dort seien nicht besonders freundlich gewesen. Später erfuhren Ohr und ihre Kolleginnen, dass erst ein paar Tage vor ihrer Ankunft alle Juden »abtransportiert« worden waren. Einige Juden waren jedoch noch geblieben. Gleich hinter dem Haus, in dem die Krankenschwestern untergebracht waren, gab es ein Ghetto, in dem Frauen und Kinder wohnten. Als jemand in ihr Zimmer eingedrungen war und Sachen gestohlen hatte, schloss Ohr aus der räumlichen Nähe der beiden Orte, dass das nur Leute aus dem Ghetto gewesen sein konnten.3 Natürlich stahlen einige verzweifelte Juden, denn die Nationalsozialisten hatten ihnen ja alles genommen – aber Ohr liefert



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